11.06.2021

Interviewreihe - Die Hochschulen Ruhr West und Eberswalde im Gespräch

Das Bund-Länder-Programm „FH-Personal“ fördert 64 Hochschulen, die die gesamte Vielfalt und Bandbreite der Hochschullandschaft in Deutschland repräsentieren. In den kommenden Wochen werden wir mit einer Interviewreihe einen kleinen Einblick in die Diversität der deutschen Fachhochschulen (FH) und Hochschulen für Angewandte Wissenschaften (HAW) gewähren und einige dieser im Programm „FH-Personal“ geförderten Hochschulen vorstellen. Den Anfang machen heute: Die Hochschule Ruhr West und die Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde.

Die Hochschulen Ruhr West (links) und Eberswalde (rechts). Quelle: Daniel Bonsen / Ullrich Wessolek, Collage: PtJ
Die Hochschulen Ruhr West (links) und Eberswalde (rechts). Quelle: Daniel Bonsen / Ullrich Wessolek, Collage: PtJ

Frau Professorin Staude, Sie sind Präsidentin der Hochschule Ruhr West. Was ist das Besondere an Ihrer Hochschule? Was unterscheidet Sie von anderen Hochschulen im Land?

Staude: Da gibt es sehr viele unterschiedliche Faktoren. Wir sind zum Beispiel eine sehr junge Hochschule, wir sind erst vor 12 Jahren gegründet worden. Das hat unter anderem zur Folge, dass wir nagelneue Gebäude haben und eine hervorragende technische Ausstattung. Zudem ergibt sich daraus ein bestimmter Geist der Hochschule, der stark davon geprägt ist, dass wir eine Neugründung sind. Es ist ein wenig ein Start-Up-Gefühl – obwohl wir natürlich langsam in die Start-Up-Pubertät kommen. Was ich damit meine ist, dass viele meiner Kolleginnen und Kolleginnen einen großen Gestaltungswillen haben. Das ist auch etwas, was wir in Bewerbungsgesprächen merken: Die Leute kommen und möchten etwas ausprobieren bei uns.

Frau Professorin Walk, Sie sind im Moment interimsweise Präsidentin der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde (HNEE), lehren und wirken aber schon seit fünf Jahren an der Hochschule, unter anderem als Vizepräsidentin für Studium und Lehre. Was ist das Besondere an der HNEE?

Walk: Was uns sicherlich von anderen Hochschulen unterscheidet, ist unser ganz klares Profil, das wir schon vor vielen Jahren herausgebildet haben und das wir seitdem kontinuierlich zu schärfen versuchen. Die Orientierung am Leitbild der nachhaltigen Entwicklung ist für uns seit 20 Jahren handlungsleitend. Die HNEE strebt eine hohe Reputation und Wirkung im Bereich anwendungsorientierter Forschung für eine nachhaltige Entwicklung an und versteht sich auch als Impulsgeberin. Inzwischen rekrutieren wir einen großen Teil unseres wissenschaftlichen Nachwuchses und der Studierenden aus der Vielzahl von Menschen, die sich der Nachhaltigkeit verpflichtet fühlen. Das führt natürlich auch dazu, dass die Studierenden an unserer Hochschule sehr engagiert sind. Und das finde ich wunderbar, dass unser Leitbild derart von unseren Studierenden gelebt wird.

Ihre Hochschule liegt in Brandenburg, im eher ländlichen Raum. Welche Bedeutung hat die HNEE für die Region?

Walk: Wir sehen unsere Aufgabe ganz klar darin, für die und mit der Region neue Perspektiven aufzuzeigen. Damit Leute aus der Region auch sehen: Hier bewegt sich was, hier kann ich bleiben und mich entwickeln. Die HNEE versteht sich als Treiberin einer Nachhaltigkeitstransformation. Ihre Transferaktivitäten und Praxis-Hochschul-Kooperationen sind in der Wirtschaft, Wissenschaft, Verwaltung, Politik und Zivilgesellschaft wirksam. Um ein Beispiel zu geben: Wir haben es in Eberswalde gemeinsam mit gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Akteuren geschafft, das Bild, das die Stadt nach dem rassistisch motivierten Mord an Amadeu Antonio 1990 hatte, zu verändern. Und da müssen wir unbedingt weitermachen. Das sehe ich auch als unseren Auftrag, zur Demokratiefähigkeit beizutragen – zum Beispiel, indem wir wissenschaftlichen Mitarbeitenden und Studierenden Argumentationstrainings anbieten oder sie dazu motivieren, sich in zivilgesellschaftlichen Netzwerken einzubringen.

Frau Staude: Ihre Hochschule liegt mitten im Ruhrgebiet. Welche Bedeutung hat das für Ihre Hochschule?    

Staude: Wir merken natürlich, dass wir eine Ruhrgebiets-Hochschule sind – unsere Studierenden setzen sich dann doch anders zusammen als in Aachen oder Münster. Und das ist etwas, was uns als Hochschule besonders wichtig ist, worauf wir auch einen Fokus legen: Wir wollen, dass unsere Professorinnen und Professoren auch unsere Studierendenschaft abbilden. 60 Prozent unserer Studierenden haben eine Einwanderungsgeschichte, bei den Lehrenden sind es bislang nur wenige. Das ist eine Schieflage, die wir beheben wollen.

Welche Bedeutung hat Ihre Hochschule für die Region?

Staude: Grundsätzlich ist es so, dass wir als Neugründung auf Initiative der Städte der Region entstanden sind. Das heißt, dass die Städte große Hoffnung auf uns setzen – und das merken wir auch in der Zusammenarbeit mit den Städten, die hervorragend funktioniert. Und dann bewegen wir uns natürlich auch in den wirtschaftlichen und strukturellen Begebenheiten der Region: Wir als Hochschule arbeiten in einer Region im Strukturwandel. In Bottrop zum Beispiel hat vor zwei Jahren die letzte Zeche geschlossen, auch in der Stahlindustrie sieht es nicht danach aus, dass das noch ein wachsender Sektor in Deutschland wird. Dementsprechend werden neue Ideen gebraucht – und die suchen wir gemeinsam mit Unternehmen. Wir haben als Hochschule Möglichkeiten, gerade in der Forschung und Entwicklung, über die kleine und mittelständische Unternehmen nicht verfügen.

Frau Walk, die HNEE ist mit 2200 Studierenden eine der kleineren Hochschulen im Programm. Gibt es etwas, um das Sie Ihre Kolleginnen und Kollegen an größeren Hochschulen beneiden?

Walk: Ja, die finanziellen Möglichkeiten, die Ressourcen. Wir müssen im Prinzip alle Themen genauso bedienen wie größere Hochschulen, zum Beispiel Datenschutz, aber auch viele andere Funktionsbereiche. Und da fehlen uns dann oft die personellen Kapazitäten, es ist kaum möglich, sich nur auf einen Bereich zu konzentrieren – das würde ich mir manchmal anders wünschen.

Als Präsidentin einer jungen Hochschule, Frau Staude: Gibt es etwas, um dass Sie Ihre Kolleginnen und Kollegen an bereits lange etablierten Hochschulen beneiden?

Staude: Da geht es vor allem um Strukturen, die wir immer noch aufbauen. Wo ich mir manchmal denke: Ach, Mensch, das wäre wirklich schön, wenn bestimmte Prozesse einfach schon klar wären und wir nicht immer alles neu erfinden müssten. Auf der anderen Seite hat das natürlich auch Potentiale – wenn nichts da ist, können sich die Beteiligten die Strukturen so bauen, wie sie für sie passen.

Susanne Staude, geboren 1970, studierte Special Environmental Engineering an der Brunel University in Großbritannien. Nach ihrem Studienabschluss war sie in England und Deutschland als Entwicklungsingenieurin in der Automobilindustrie tätig, bevor sie 2003 an die Fachhochschule Köln wechselte. Von Oktober 2006 bis Oktober 2010 war Susanne Staude wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Thermodynamik an der Universität Duisburg-Essen. Im Februar 2011 promovierte sie zur Doktor-Ingenieurin an der Universität Duisburg-Essen zum Thema „Mechanistische Untersuchungen an vorgemischten, laminaren Flamen“ mit Magna Cum Laude.  Seit März 2011 ist Susanne Staude als Professorin für Thermodynamik und Fluidenergiemaschinen am Institut Energiesysteme und Energiewirtschaft an der Hochschule Ruhr West tätig. Seit dem ersten Oktober 2015 war sie Vizepräsidenten der Hochschule, im September 2019 wählte die Hochschulversammlung sie zur Präsidentin.

 

Kommen wir zum Thema „FH-Personal“. Welche Erfahrungen haben Sie in der Vergangenheit bei der Besetzung von FH-Professuren gemacht?

Walk: Wir haben in einzelnen Fachgebieten eher schlechte Erfahrungen gemacht. Viele Professuren bekommen wir nicht besetzt. Wir haben nicht nur die Fächer im Nachhaltigkeits-Bereich, sondern auch Fachgebiete, in denen wenige Nachwuchswissenschaftlerinnen und –wissenschaftler unterwegs sind. Und da merken wir, dass sich die Talente mit ihrer Bewerbung nicht nur für eine Hochschule, sondern auch für eine Region bewerben. Es ist schwierig, qualifizierte Bewerberinnen und Bewerber in den Nord-Osten zu locken. Zudem haben wir auch einige spezielle Fächerkombinationen, die es so an anderen Hochschulen nicht gibt. Da ist der Nachwuchskräfte-Pool schon grundsätzlich nicht so groß.

Staude: Das ist ein gemischtes Bild. Wir haben immer mal wieder Professuren, bei denen wir uns sehr schwer tun, zum Beispiel in der Elektrotechnik. Aktuell haben wir eine Professur in der Informatik, die wir auch in mehreren Runden nicht besetzen konnten. Grundsätzlich ist es so, dass wir selten eine Dreier-Liste aufstellen können. Aber wenn wir eine Person finden, die gut ist, dann ist das auch in Ordnung. Zusammenfassen würde ich es also: Einfach ist es nicht. Aber es ist auch nicht katastrophal.

Frau Staude, vor welchen Herausforderungen stehen Sie und Ihre Hochschule?

Staude: Unsere größte Herausforderung ist, dass wir eine technische Hochschule sind. Drei von vier unserer Professuren haben einen technischen Hintergrund. Und da ist die Situation am Markt so, dass Promovierte aus den Ingenieurwissenschaften und der Informatik in der freien Wirtschaft sehr viel Geld verdienen können. Da stehen wir in einem harten Wettbewerb. Und die andere Herausforderung ist der Frauenanteil. Ich möchte natürlich, dass das hier kein reiner Männerverein ist – aber es ist schwierig, Professorinnen vor allem in den technischen Fächern zu gewinnen. Ähnlich ist es bei Menschen mit Einwanderungsgeschichte: Wenn mehr als die Hälfte der Studierenden eine Einwanderungsgeschichte hat, ist es ungünstig, wenn es lediglich bei fünfzehn Prozent der Lehrenden auch so ist. Es ist einfach gut, wenn unsere Studierenden auch Vorbilder haben, mit denen sie sich identifizieren können, die nicht auf allen Ebenen unterschiedlich sind.

Welche Ideen haben Sie, um diese Herausforderungen zu bewältigen?

Staude: Wir haben einige Überlegungen. Zum Beispiel wollen wir unseren Pool der Lehrbeauftragten – die aktuell noch in Unternehmen tätig sind und dann im Auftrag bei uns lehren – enger an uns binden. Da geht es auch darum, dass Prinzip Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW) erstmal bekannt zu machen. Viele waren an der Uni, haben dort promoviert und sind dann in die Wirtschaft – wenn sie von uns hören, denken sie oft, dass eine HAW der Uni ähnelt. Aber das ist überhaupt nicht so, diese Enttäuschung wollen wir auch vermeiden. Ich glaube auch, dass sich viele gar keine Gedanken über eine Karriere an der HAW machen, weil sie nicht wissen, welche Chancen das bietet. Das wollen wir ändern, in dem wir zum Beispiel Teilzeitprofessuren anbieten. Aus einem Unternehmen heraus komplett an eine HAW zu wechseln, ist ein großer Schritt. Eine Teilzeitprofessur könnte diesen Schritt abfedern. Zudem ist es unser Ziel, die Lehrbeauftragen auch didaktisch zu qualifizieren. Das ist oft die Krux für uns: Viele sind in ihrem Fach top. Aber das heißt noch lange nicht, dass sie auch gute Lehrpersonen sind. Und wenn wir sie da qualifizieren können, qualifizieren wir sie nicht nur für uns, sondern auch für die Hochschulen in der Region: für Dortmund, Bochum, Gelsenkirchen, RheinWaal. Natürlich stehen wir da auch in Konkurrenz, die Zusammenarbeit steht aber eindeutig im Vordergrund.

Frau Walk, welche Ideen haben Sie? Welche Maßnahmen werden Sie umsetzen? Was ermöglicht „FH-Personal“ der HNEE?

Walk: Zunächst möchten wir das Berufungsmanagement an der Hochschule weiterentwickeln. Sodass wir dann auch tatsächlich den Service für Bewerberinnen und Bewerber deutlich verbessern. Da wollen wir auch Talente frühzeitiger auf ihrem Weg begleiten und ihnen verdeutlichen, was es an Erfahrung in Wissenschaft und Beruf braucht, um gute Chancen auf eine FH-Professur zu haben. Dann sind Schwerpunktprofessuren für uns sehr wichtig, davon erhoffen wir uns zweierlei: Zum einen sollen die Professuren so attraktiver werden. Zum anderen kann das freigewordene Lehrdeputat genutzt werden, um wissenschaftlichen Nachwuchskräften Lehrerfahrung zu verschaffen, um sie so zu qualifizieren. Schlussendlich hat das zivilgesellschaftliches Engagement in der Region eine besondere Bedeutung für uns – weil wir so dazu beitragen können, das Image der Region und damit auch die Attraktivität der HNEE als Arbeitgeberin zu verbessern. Das alles könnten wir ohne „FH-Personal“ nicht umsetzen.

Heike Walk studierte in Granada und Edinburgh, bevor sie im Jahr 1993 ihr Politikwissenschaftsstudium in Berlin erfolgreich abschloss. Während und nach ihrer Promotion im Jahr 2000, baute sie diverse Forschungsbereiche wie „Klima und Energie“, „Governance“ und die Bereiche „Soziale Bewegungen, Technik und Konflikte“ an der TU Berlin auf. Walk war als wissenschaftliche Leiterin des außeruniversitären Forschungsinstituts „inter 3 - Institut für Ressourcenmanagement“ sowie als wissenschaftliche Koordinatorin am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) aktiv. Im Januar 2017 nahm sie ihre Professur für Transformation und Governance am Fachbereich für Wald und Umwelt an der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde an, im September 2018 wurde sie Vizepräsidentin für Studium und Lehre. Seit dem ersten März 2021 leitet sie als Interimspräsidentin die HNEE. 

Frau Staude, was können Sie an der Hochschule Ruhr West durch FH-Personal realisieren, was Sie vorher nicht angehen konnten?

Staude: Insbesondere die Qualifizierung der Lehrbeauftragten ist ein Thema, das uns wirklich schon sehr lange beschäftigt, was wir aber nie richtig angehen konnten. Und das können wir jetzt endlich.

Gibt es schon Kooperationen mit Partnern aus Wirtschaft und Gesellschaft, die Sie zur Gewinnung und Qualifizierung von professoralem Personal nutzen wollen?

Staude: Bisher noch nicht. Aber das ist genau der Gedanke, den wir haben: Uns in der Personalgewinnung stärker zu vernetzen, vor allem mit der Wirtschaft. Da hat neulich zum Beispiel auch der Bürgermeister von Mülheim Gespräche initiiert. Da ging es um Siemens, die Stellen abbauen – und ein 50-jähriger Ingenieur bei Siemens könnte natürlich eine interessante Option für uns bei der Besetzung einer Professur im technischen Bereich sein. Da gibt es also großes Potential. Natürlich gibt es auch Konkurrenz, alle wollen die besten Köpfe haben. Aber ich finde es gerade spannend, Personalentwicklung organisationsübergreifend zu denken – mit Unternehmen und Hochschulen in der Region.

Walk: Wir haben viele Partner im wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Bereich. Spannend finde ich aktuell auch den Blick über die Grenze: wir liegen in der Nähe zu Polen, im Moment befinden sich in vielen Sektoren deutsch-polnische Wirtschaftsnetzwerke im Ausbau. Da ist es auch für uns wichtig, immer wieder zu schauen: Welche neuen Möglichkeiten und Perspektiven eröffnen sich da? Wie können wir unterstützen und mitarbeiten?

Und schon die letzte Frage: Was macht den Job „FH-Professorin/FH-Professor“ so attraktiv?

Walk: Für viele meiner Kolleginnen und Kollegen ist es vor allem die Praxisnähe, die sie attraktiv finden. Dass man geneinsam mit Studierenden problemorientiert Themenfelder bearbeiten kann – und das nicht nur theoretisch.

Staude: Da gibt es viele Gründe. Es ist ein total sinnvoller Job. Meine Kinder sind jetzt Teenager und wenn die mich fragen: Mama, wie leistest du eigentlich deinen Beitrag, dass wir uns als Gesellschaft positiv entwickeln? Dann kann ich sagen, dass ich an der Hochschule bin und mich um Bildung kümmere. Und das ist befriedigend. Ich glaube auch, dass dieses Thema wichtiger wird. Das ist vielleicht noch nicht bei allen in meiner Generation angekommen – aber für die, die 20 Jahre jünger sind, hat es einen ganz anderen Stellenwert, etwas zu tun, was nicht nur für das eigene Konto sinnvoll ist. Und dann habe ich als HAW-Professorin eine wahnsinnige Freiheit in der Gestaltung meiner Arbeit. Ich kann sehr selbstbestimmt arbeiten. Und wir sind – im Vergleich zu den Universitäten – an der HAW auch viel näher an den Studierenden, wir kennen sie persönlich. Das ist auch etwas, was den Job richtig attraktiv macht.