22.12.2020

Die Vorsitzenden des Auswahlgremiums im Interview zu „FH-Personal“: „Ein ganz wichtiger Impuls für viele Hochschulen“

Prof. Dr. Christine Böckelmann und Prof. Dr. Gesine Grande sind die Vorsitzenden des Auswahlgremiums der ersten Förderrunde von „FH-Personal“. Im Interview sprechen sie über das Erfolgsrezept von Fachhochschulen/Hochschulen für angewandte Wissenschaften, die Bedeutung von „FH-Personal“ – und darüber, welche Anträge sie besonders begeistert haben.

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Frau Böckelmann, Frau Grande: 2019 sind die Fachhochschulen in Deutschland 50 Jahre alt geworden. Sie werden als Erfolgsmodell gefeiert. 2018 ist der Anteil der Neueinschreibungen an Fachhochschulen auf 44 Prozent aller Studienanfänger/-innen gestiegen. Was macht Fachhochschulen/Hochschulen für angewandte Wissenschaften (HAW) aus Ihrer Sicht so erfolgreich?

Böckelmann: Innovationen in Wirtschaft und Gesellschaft entstehen oft dadurch, dass Praxiswissen und aktuelle wissenschaftliche Kompetenzen miteinander verbunden werden. Diese Verbindung zu erreichen ist eine hohe Kunst. Für mich haben die Fachhochschulen diese Kunst zu ihrer Expertise entwickelt – das macht sie als Institutionen so attraktiv. Dazu sind sie für Studierende reizvoll, weil sie hier eine Qualifikation erwerben können, bei der es darum geht, die Alltagspraxis wissenschaftlich kompetent weiterzuentwickeln. Bei einem Studium an einer Fachhochschule kommt man ganz nah an die Herausforderungen der Wirtschaft und des Lebens ran.

Grande: Für mich hängt der Erfolg der Fachhochschulen und Hochschulen für angewandte Wissenschaften stark damit zusammen, dass sie in der Lehre deutlich strukturierter sind als die Universitäten. Wir haben es da oft mit kleinen Gruppen zu tun, in denen die professorale Betreuung sehr eng und individuell ist. Und dann sind neben der Lehre auch die Forschungs- und Entwicklungsthemen an Fachhochschulen sehr spannend, weil sie nicht selten verbunden sind mit regionalen Unternehmen – die vor Ort forschen und Innovationen betreiben, an denen sich auch die Studierenden frühzeitig beteiligen können. Das ist ein Modell, das für viele junge Leute attraktiv ist. Es ist ja auch kein Geheimnis, dass die Fachhochschulen gerade für Bildungsaufsteiger oft interessanter sind als Universitäten – weil sie die stärkere Orientierung an der Praxis und die individuellere Begleitung durch das Personal schätzen.

Frau Böckelmann, Sie sind Direktorin einer Wirtschaftsfachhochschule in der Schweiz. Welche Beobachtungen zu den Herausforderungen einer FH-Professur haben Sie auf Ihrem Karriereweg einerseits und aus ihren wissenschaftlichen Beobachtungen zur FH-Professur andererseits gemacht?

Böckelmann: Grundsätzlich wird viel zu wenig darüber gesprochen, welche breite, ausdifferenzierte Qualifikation wir von den Professorinnen und Professoren fordern. Ein akademischer Leistungsnachweis allein genügt nicht – und ebenso genügt es nicht, über reichlich Praxiserfahrung zu verfügen. Das ist eine große Herausforderung für viele. Zumal es auch nicht reicht, nur zu Beginn seiner Laufbahn mal in der Praxis tätig gewesen zu sein. Es braucht kontinuierlichen Austausch mit der sich sehr rasch entwickelnden Praxis. Das heißt, der Weg der Qualifizierung nicht nur in der Wissenschaft, sondern auch in der Praxis hört nie auf.

Frau Grande, Sie waren fünf Jahre lang Rektorin der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kunst Leipzig. Welchen Herausforderungen stehen Fachhochschul-Leitungen bei der Gewinnung und Entwicklung professoralen Personals gegenüber?

Grande: Zunächst muss man da feststellen, dass die Ausgangslagen für Fachhochschulen sehr heterogen sind: In Leipzig zum Beispiel hat man ganz andere Bedingungen als an einer Fachhochschule, die in einer eher strukturschwachen Gegend liegt. Dazu gibt es natürlich große Unterschiede in den Fachrichtungen: In den Sozial- und Gesundheitsbereichen ist die Akademisierung einfach noch nicht weit fortgeschritten, da ist die Nachwuchsgewinnung so schwierig, weil es kaum Nachwuchs gibt. In den MINT-Fächern dagegen ist die Herausforderung, dass die Fachhochschulen mit Unternehmen konkurrieren, die oft ganz andere Gehälter anbieten können. Was alle Fachhochschulen teilen, ist, dass der Karriereweg zur Fachhochschul-Professur ganz schön kompliziert ist: Er ist nicht sofort plausibel, weil die Bekanntheit im Vergleich zu den Universitäten geringer ist. Er ist auch nicht geradlinig. Man kann an eine Universität gehen und – wenn man möchte - die Universität bis zur Professur nicht mehr verlassen. Das ist an Fachhochschulen nicht möglich – alleine, weil Jahre in der Praxis vonnöten sind.

Christine Böckelmann wurde 1964 geboren. Sie begann ihre akademische Laufbahn mit einem Studium der Psychologie, Psychopathologie und Soziologie in Zürich. Nach Berufsjahren als Schulpsychologin und Psychotherapeutin promovierte sie zum Thema "Qualitätsmanagement in psychosozialen Beratungsstellen". Anschließend hatte sie verschiedene Positionen im Hochschulmanagement inne und erwarb einen Masterabschluss in Hochschul- und Wissenschaftsmanagement. Sechs Jahre leitete sie die Abteilung Bildung und Erziehung an der Pädagogischen Hochschule Zürich, anschließend war sie Generalsekretärin der Pädagogischen Hochschule der Fachhochschule Nordwestschweiz. Von 2011 bis 2016 stand sie als Rektorin der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe vor, seither ist sie Direktorin der Hochschule Luzern – Wirtschaft. Einen kontinuierlichen Praxisbezug sichert sie sich seit zwanzig Jahren durch Coachings für Mitarbeitende in Finanzunternehmen.

Frau Böckelmann, mit dem Förderprogramm „FH-Personal“ wollen Bund und Länder Fachhochschulen/HAW dabei unterstützen, ihre Gewinnungs- und Entwicklungs­möglichkeiten entscheidend auszubauen. Was kann aus Ihrer Sicht das Förderprogramm vor dem Hintergrund der Herausforderungen für Fachhochschulen/HAW in Deutschland leisten?

Böckelmann: Aufgrund der eingereichten Anträge gehe ich davon aus, dass das Förderprogramm für viele Hochschulen ein ganz wichtiger Impuls ist, sich grundlegend und systematisch mit Fragen der Personalgewinnung und -qualifizierung auseinanderzusetzen. Im Hochschulalltag fehlt dafür ja oftmals die Zeit. Zudem erhoffe ich mir durch das Förderprogramm einen stetigen Austausch unter den Fachhochschulen. Für mich ist das Programm auch eine Plattform, auf der die innovativen und gut durchdachten Maßnahmen sichtbar gemacht werden können. Davon profitieren dann alle.

Frau Grande, mit dem Antrag zur Umsetzungsphase haben die Hochschulen ein strategisches Konzept vorgelegt, dessen Ausarbeitung in der Konzeptphase auch mit zusätzlichen Fördermitteln von Bund und Ländern unterstützt worden sind. Welche Entwicklungsfelder haben die Hochschulen auf Basis ihrer Stärken-Schwäche-Analysen festgestellt und wo setzt das Programm dahingehend an?

Grande: Auch die Stärken-Schwächen-Analysen haben für mich nochmal gezeigt, wie divers die Fachhochschul-Landschaft in Deutschland aufgestellt ist. Zum einen haben wir Fachhochschulen, die schon sehr professionell aufgestellt sind – von der Sichtbarkeit als Arbeitergeber über die Rekrutierung bis hin zur hausinternen Nachwuchsförderung – und die sich jetzt durch das Programm nochmal auf ein neues Niveau heben möchten. Zum anderen gibt es Fachhochschulen, die noch am Anfang stehen und vielleicht erst einmal versuchen, ihr Berufungsmanagement zu professionalisieren. Das Förderprogramm passt sich hier perfekt an die Bedürfnisse der jeweiligen Hochschule an – auch, weil eine Vielzahl von Instrumenten genutzt werden kann.

Welche Projektvorschläge der in den ersten Förderrunden ausgewählten Fachhochschulen/HAW haben Sie im Besonderen beeindruckt?

Böckelmann: Beeindruckt haben mich vor allem Anträge, bei denen es eine hohe Stringenz gab zwischen einer spezifischen, auf das Umfeld abgestimmten Entwicklungsstrategie und den geplanten Maßnahmen – also Anträge, denen man angemerkt hat, dass viel Denkarbeit und umfangreiche hochschulinterne Diskussionen dahinterstehen. Das habe ich sehr gerne gelesen. Genau wie die Anträge, bei denen sich die Hochschulen bereits ganz konkret mit den Arbeitsschritten auseinandergesetzt hat. Bei denen es nicht einfach nur schöne Worte waren, sondern bei denen man gemerkt hat: Da hat eine Hochschule sehr genaue Vorstellungen, wie sie professorales Personal gewinnen und qualifizieren möchte.

Grande: Das sehe ich ähnlich. Es waren viele Anträge dabei, denen man angesehen hat, dass ein Team Wochen und Monate investiert hat, um ein Konzept zu entwickeln, das zur Hochschule passt und sie zukunftsorientiert und nachhaltig im Bereich der Nachwuchsgewinnung aufstellt. Da hat man einfach gemerkt, wie groß die Bedeutung dieses Themas für viele Fachhochschulen ist.

Was hat Sie überrascht? Was begeistert?

Böckelmann: Überrascht hat mich, wie viele Hochschulen sich für das Förderprogramm beworben haben. Das zeigt, wie wichtig die Thematik ist. Begeistert haben mich besonders Ansätze, bei denen sich Hochschulen in einer Region zusammengeschlossen haben, um die Herausforderungen gemeinsam anzugehen. Hochschulen stehen zwar immer auch in Konkurrenz zueinander. Aber bei der Gewinnung von FH-Professorinnen und –Professoren gibt es einige Themen, die man sehr gewinnbringend gemeinsam angehen kann: Zum Beispiel die Frage der Kommunikation, um die Attraktivität des Berufsbilds insgesamt zu steigern.

Grande: Ich kann das gar nicht so genau trennen. Überrascht und begeistert hat mich die Vision vieler Antragssteller – die wirklich aufschließen möchten in die Liga der forschenden Hochschulen in Deutschland, die alle Instrumente der akademischen Qualifizierung zum Einsatz bringen wollen, um Nachwuchs zu generieren.

Gesine Grande, geboren 1964 in Leipzig, studierte Psychologie in Leipzig und promovierte 1997 an der Universität Bielefeld. Nach der Approbation als Psychologische Psychotherapeutin erlangte sie 2012 ihre Habilitation an der Universität Leipzig. Von 2014 bis 2019 war sie Rektorin der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur Leipzig. Seit dem ersten Oktober 2020 ist sie Präsidentin der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus–Senftenberg.

Wann, denken Sie, wird das Programm eine erste Wirkung entfalten?

Grande: Seine erste Wirkung hat das Programm für mich schon entfaltet, alleine durch die Stärken-Schwächen-Analysen. Das hat schon so viel an Klärung, Orientierung und auch Diskussion innerhalb der Hochschulen gebracht. Bis man die Wirkungen des Programms in einem engeren Sinne beobachten kann, wird es natürlich noch etwas dauern.

Böckelmann: Ja, das denke ich auch. Die Maßnahmen, die im Programm entwickelt und implementiert werden, dürften nicht von heute auf morgen wirken. Um Nachwuchs aufzubauen und qualifizierte Professorinnen und Professoren anzuziehen, braucht man einen langen Atem, das gelingt nur mit längerfristigen Strategien. Aber in fünf, sechs Jahren wird man sicherlich erste Ergebnisse beobachten können.

Das Förderprogramm „FH-Personal“ ist eine Investition in die Zukunft der Fachhochschulen/HAW. Welche Bedeutung haben aus Ihrer Sicht Fachhochschulen/HAW für das Wissenschafts- und Innovationssystem in Deutschland?

Böckelmann: Die Wissenschaft nimmt in Bezug auf die Entwicklung von Wirtschaft und Gesellschaft eine immer wichtigere Rolle ein; wissenschaftlich fundierte Antworten auf ganz konkrete Fragen sind sehr, sehr gefragt. Die Fachhochschulen haben hier für Deutschland extrem viel zu bieten. Ich sehe sie als Brückeninstitutionen: In Fachhochschulen haben wir viele Personen, die beide Welten – Wissenschaft und Praxis – verstehen und beide Welten verbinden können. Und für Deutschland sind diese Brücken enorm wichtig.

Und wie könnte es in Zukunft aussehen? Wo sehen Sie die Fachhochschulen/HAW in zehn Jahren?

Böckelmann: Ich gehe davon aus, dass sich die Fachhochschulen – je nach ihrer Region, je nach ihren Fachgebieten – in den kommenden Jahren recht unterschiedlich entwickeln. Damit eine Fachhochschule erfolgreich agieren kann, muss sie zu ihrem Wirtschafts- und Wissenschafts-Umfeld passen. Weiter bringt es die enge Verschränkung mit ganz unterschiedlichen Berufsfeldern mit sich, dass sich zum Beispiel Fachhochschulen mit einem Fokus auf den MINT-Bereich anders entwickeln dürften als diejenigen im Gesundheits- oder Sozialbereich. Die Fachhochschulen der Zukunft sind für mich sehr anpassungsfähig – und eng verschränkt mit ihrem jeweiligen Umfeld. Das, denke ich, wird das Erfolgsrezept sein.

Grande: Das sehe ich sehr ähnlich. Die Fachhochschulen werden sich weiter differenzieren – und dabei noch stärker auf spezifische Profile in der Forschung und der Lehre setzen. Zudem bin ich mir sicher, dass sie eine entscheidende Rolle bei der Akademisierung der Gesundheitsberufe spielen werden. Da sehe ich einen Fokus der Zukunft. Insgesamt denke ich, dass Fachhochschulen ein sehr attraktiver und erfolgreicher Hochschul-Typ Deutschlands bleiben werden.